Hinter den Kulissen: Sprachdienstleistungen
Wissen Sie, wie die Sprachmittlungsbranche funktioniert?
Heute möchte ich Sie gerne auf einen kurzen Ausflug in die Sprachmittlungsbranche und auf den Übersetzungsmarkt mitnehmen. Im Englischen wird hierfür auch häufig der Ausdruck „translation industry“ (Übersetzungsindustrie) bemüht, der allerdings stark in der Kritik steht – impliziert er doch das Bild einer Massenproduktion (insbesondere im Zeitalter der KI und maschinellen Übersetzung). Tatsächlich lässt sich ein qualitativ hochwertiger Übersetzungsprozess aber nur in gewissem Umfang skalieren und beschleunigen.
In diesem Beitrag möchte ich also nun ein paar Fakten nennen, die Außenstehenden kaum bekannt sind und die Ihnen hoffentlich bei der Orientierung auf dem Übersetzungsmarkt helfen.
Aufbau
Eigentlich ist der Übersetzungsmarkt (bzw. der Markt für Sprachmittlung allgemein) sehr einfach aufgebaut. Es gibt eine große Zahl großer und kleiner Übersetzungsagenturen (die auch häufig als „LSPs“ bezeichnet werden (vom Englischen: „Language Service Providers“ – Sprachdienstleister). Und dann gibt es noch jede Menge selbstständiger Übersetzer und Dolmetscherinnen.
Die meisten Agenturen verfügen nur über vergleichsweise wenige festangestellte Übersetzerinnen und Übersetzer. Sie kümmern sich im Kern ihres Geschäfts um die Abwicklung von Projekten und senden die Übersetzungen zum Großteil an die Selbstständigen in ihren Datenbanken.
Große Übersetzungsagenturen
Laut der Europäischen Kommission haben die 100 größten LSPs einen Anteil von insgesamt gerade einmal 15 % am globalen Übersetzungsmarkt. Die übrigen 85 % werden durch kleine und mittelständische Unternehmen abgedeckt.
Nichtsdestotrotz sind die großen Agenturen meistens diejenigen, die bei Internetsuchen als erste auftauchen – denn sie haben das nötige Budget, um umfangreich in Marketing und Suchmaschinenoptimierung zu investieren. Ihr Alleinstellungsmerkmal besteht darin, dass sie durch ihr großes Netzwerk so gut wie alle möglichen Sprachkombinationen und Fachgebiete abdecken und große Projekte durch Aufsplitten in kürzerer Zeit bearbeiten können.
In den meisten Fällen werden an diese großen LSPs übergebene Projekte nicht intern abgewickelt, sondern entweder direkt an Selbstständige oder aber an kleinere Übersetzungsagenturen versendet. Diese kleineren Agenturen arbeiten dann wiederum mit noch kleineren Agenturen oder mit Selbstständigen zusammen, sodass es manchmal zu einer sehr verschachtelten Weitergabe von Projekten kommt.
Spezialisierte kleine(re) Übersetzungsagenturen
Etwas unterhalb dieser großen LSPs siedeln sich kleinere und mittelständische Agenturen mit einem Dutzend oder mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Sie arbeiten häufig mit größeren Agenturen zusammen, von denen sie Aufträge annehmen, aber auch mit eigenen Direktkunden. Sie konzentrieren sich häufig auf bestimmte Sprachkombinationen und Fachgebiete und überzeugen durch ihren persönlicheren Kundenservice, ihr umfangreiches Fachwissen und höhere Konsistenz aufgrund einer kürzeren Lieferkette.
Selbstständige SprachmittlerInnen
Den Großteil der eigentlichen produktiven Spracharbeit leisten schlussendlich jedoch die selbstständigen Übersetzerinnen und Dolmetscher. Im Normalfall haben sie sich auf eine oder zwei Sprachkombinationen und einige wenige Fachgebiete spezialisiert, wie beispielsweise Technik, Medizin oder Tourismus, und über die Jahre viel Fachwissen und Fachvokabular angesammelt. Sie können zwar nur ein sehr eng gestecktes Leistungsspektrum abdecken, wissen aber dafür genau, welche Anforderungen ihr Fachbereich stellt.
Viele von ihnen erhalten regelmäßig Aufträge von großen und kleinen Agenturen, aber nicht wenige arbeiten auch mit eigenen Direktkunden zusammen, die besonders die sehr enge und persönliche Geschäftsbeziehung sowie den Fakt schätzen, dass diese Person ihres Vertrauens genau weiß, was sich der Kunde wünscht.
Marktgröße
Immer mehr Unternehmen möchten ihren Marktanteil ausbauen und expandieren somit ins Ausland. Infolgedessen ist auch der globale Markt für Sprachdienstleistungen in den vergangenen Jahren stetig gewachsen.
Laut Recherchen von Statista, die im Januar 2023 veröffentlicht wurden, hat sich die Marktgröße im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt. Selbst während der Corona-Pandemie, unter der viele Sektoren litten, wuchs der Markt weiter.
Wie bereits oben erwähnt, ist einer der Hauptgründe für diese Entwicklung die zunehmende Globalisierung von Unternehmen. Doch auch die zunehmende Digitalisierung von Inhalten, personalisierterer und globaler Kundensupport und Medienkonsum spielen eine große Rolle.
Doch wie steht es um neue Technologien? Sind Menschen in der Sprachmittlung bald überflüssig?
Aktuelle Trends
Maschinelle Übersetzung
Wussten Sie, dass maschinelle Übersetzung gar keine so neue Erfindung ist? Tatsächlich begann man schon in den 1950ern, erste statistische Übersetzungsmodelle zu entwickeln. Und auch damals waren die Beteiligten der Meinung, dass menschliche Übersetzerinnen und Übersetzer in Kürze durch Maschinen ersetzt werden könnten.
Mehr als ein halbes Jahrhundert später gibt es wohl mehr menschliche Übersetzerinnen und Übersetzer denn je. Die Qualität des Outputs der hinter der maschinellen Übersetzung stehenden Technologie hat sich im Laufe der Jahre zwar stetig verbessert und der letzte technologische Sprung gelang mit der Einführung neuronaler Netzwerke und maschinellen Lernens um das Jahr 2014, als sich die Qualität von Übersetzungen plötzlich schlagartig verbesserte und auf den ersten Blick so gut wie menschliche Übersetzung klang.
Doch auch wenn manche Anbieter solcher Technologien uns weismachen möchten, dass die Ebenbürtigkeit zwischen Mensch und Maschine bereits erreich sei, ist der Mensch aus dem Übersetzungsvorgang keinesfalls wegzudenken. Tatsächlich arbeiten immer mehr Menschen im Bereich der Nachbearbeitung solcher maschinell erstellten Übersetzungen, um diese auf das erforderliche Qualitätsniveau zu heben. (Leider stellt sich die Qualität nachbearbeiteter maschineller Übersetzungen trotzdem häufig als der einer menschlichen Übersetzung unterlegen heraus, wie unter anderem diese Studie (verfügbar auf Englisch) zeigt.)
Wenn Sie sich mehr dafür interessieren, warum diese Nachbearbeitung nötig ist, lesen Sie meinen Beitrag zu den Nachteilen der maschinellen Übersetzung.
Künstliche Intelligenz
Und wie steht es um künstliche Intelligenz (KI)? Sicherlich waren wir alle tief beeindruckt von der Leistungsfähigkeit und natürlich klingenden Sprache von ChatGPT, als das Tool der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Es scheint fast so, als würde der Algorithmus genau verstehen, was wir von ihm wollen. (Spoiler-Alarm: Nein, tut er nicht. Er ist nur extrem gut darin, auf Grundlage von Zahlen das wahrscheinlichste Ergebnis zu errechnen. Wörter und deren Bedeutung werden tatsächlich gar nicht verarbeitet!)
Ist KI aber nun eine bessere Übersetzerin als andere Maschinen? Ganz klar: jein! Sie bietet zwar einige Vorteile gegenüber der “normalen” maschinellen Übersetzung, wie beispielsweise die Möglichkeit, Kontext oder bestimmte Anweisungen für die Übersetzung eines Textes bereitzustellen. Doch wie bei der Generierung von Texten kommt es auch bei der Übersetzung zu Fehlern wie den berühmten Halluzinationen. Mehr darüber erfahren Sie im weiter oben verlinkten Beitrag zu den Nachteilen der maschinellen Übersetzung.
Gestiegenes Bewusstsein für die Bedürfnisse besonderer Gruppen
Eine der meiner Ansicht nach positivsten Entwicklungen der letzten Jahre ist, dass der Barrierefreiheit von Inhalten mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es gibt nun jede Menge Tools, die es den Menschen ermöglichen, die Lesbarkeit ihrer Texte zu beurteilen, doch auch die Nachfrage nach in einfacher Sprache verfassten Texten nimmt stetig zu. Viele Sprachexpertinnen und -experten bilden sich in diesem Bereich fort und können Kundinnen und Kunden mit entsprechenden Fähigkeiten unterstützen.
Medienkonsum
Eine der Auswirkungen der Corona-Pandemie war sicherlich der starke Ansprung in der Beliebtheit von Streamingplattformen. Und mit ihm auch eine Zunahme des Konsums internationaler Formate. Doch auch wenn viele Formate auf Englisch, der Kommunikationssprache unserer modernen Welt, produziert werden, heißt das noch lange nicht, dass alle Interessierten die Inhalte auch auf Englisch konsumieren möchten. Das kann daran liegen, dass sie die Sprache nicht so gut beherrschen, dass sie alles verstehen würden, oder aber auch daran, dass es nach einem langen Arbeitstag entspannender ist, die Lieblingsserie in der eigenen Muttersprache genießen zu können.
Ganz unabhängig von den genauen Gründen hierfür ziehen viele Zielgruppen Inhalte in ihrer eigenen Sprache vor. Somit wächst auch die Nachfrage nach Untertitelung und Synchronisierung dieser Produktionen.
Weitere Informationen
Ich hoffe, dass Ihnen dieser Ausflug in die Welt der Sprachdienstleistungen gefallen hat. Wenn Sie nun neugierig geworden sind und mehr erfahren möchten, lege ich Ihnen folgende Ressourcen ans Herz:
- Slator – Einblicke in den Sprachsektor und technische Entwicklungen (nur auf Englisch verfügbar)
- Nimdzi – Beratungsdienstleistungen und Marktanalysen für den Sprachmittlungsmarkt (ebenfalls Englisch)
- ELIS – European Language Industry Survey 2024, Umfrage unter europäischen Sprachdienstleisterinnen und -leistern, die interessante Einblicke in den europäischen Sprachsektor bietet (nur Englisch)
- BDÜ – Bund der Dolmetscher und Übersetzer (deutscher Fachverband), unter anderem mit einer Datenbank für die Suche nach Übersetzerinnen und Dolmetschern
Und falls Sie noch Fragen zur Abwicklung Ihrer Übersetzungsaufträge haben sollten, kontaktieren Sie mich gerne.
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