Kategorien: Fortbildung
Schlagwörter: Fortbildung IAC International Astronautical Congress Konferenz
Autor: Amelie Aichinger
Cosmic Lingua auf dem IAC 2022 in Paris
Cosmic Lingua auf erster großer Raumfahrt-Fachveranstaltung
Nachdem ich (Amelie Aichinger, Gründerin von Cosmic Lingua) in der Vergangenheit bereits an mehreren Raumfahrtveranstaltungen teilgenommen hatte (darunter die UK Space Conference 2019 und 2021 oder der digitale DLRK 2021), sollte der IAC 2022 in Paris nun die erste große Präsenzveranstaltung seit der Gründung von Cosmic Lingua werden.
Wie sich herausstellte, wurde die Veranstaltung zum bisher größten IAC der Geschichte: über 4,800 Abstracts aus über 97 Ländern wurden eingereicht, mehr als 9000 Personen meldeten sich für die Teilnahme an und um die 250 Aussteller tummelten sich in einer großen Messehalle. Eine rekordverdächtige Konferenz und eine großartige Gelegenheit, um die eigenen Horizonte zu erweitern – sowohl durch Lernen als auch Netzwerken.
Eine spannende Erfahrung
Sonntag: überwältigender Einstieg
Am Sonntag, den 18. September wurde der Kongress in einer beeindruckenden Plenumshalle mit fantastischer Beleuchtung und Bühnengestaltung, inspirierenden Ansprachen und einer unterhaltsamen Breakdance-Einlage des französischen Nationalteams eröffnet. Für mich ging es an diesem Tag in erster Linie darum, ein Gefühl für die Veranstaltung zu bekommen, mich mit dem Veranstaltungsort vertraut zu machen, mich im Ausstellungsbereich zurechtzufinden und die ersten Fachvorträge anzuhören.
Für diese suchte ich mir das Thema Habitate und Weltraumarchitektur aus: Ein sehr vielseitiger Bereich, dessen Vorträge sich von stark ähnelnden Herausforderungen des Weltraum und der Tiefsee an Habitate über die Frage, wie wichtig Fenster für unser Wohlbefinden sind, bis hin zur Präsentation einer möglichen Mondsiedlungsarchitektur erstreckten. Meine persönlichen Highlights waren die folgenden:
- das ISS-Archäologieprojekt, das sich mit der Frage befasst, wie Astronautinnen und Astronauten den verfügbaren Raum nutzen und ihn personalisieren (hier erfahren Sie mehr darüber)
- der Vortrag von AstroAccess, einer Organisation, die sich für Barrierefreiheit im Weltraum einsetzt und unter anderem bereits untersucht hat, ob Zeichensprache in der Schwerelosigkeit funktioniert; das Projekt könnte weitreichende Auswirkungen haben, unter anderem auf Notfallprozeduren für Situationen, in denen ein Astronaut oder eine Astronautin durch einen Unfall sein bzw. ihr Gehör verliert (mehr über die Aktivitäten von AstroAccess erfahren Sie hier)
Montag: lernen
Nach einem kurzen morgendlichen Ausflug zum Friedhof Père Lachaise, einer der wenigen Pariser Sehenswürdigkeiten, die für Kongressbesucher schon früh genug öffnen, konzentrierte ich mich an Tag zwei hauptsächlich auf das Lernen. Das galt sowohl für die Vorträge, die ich besuchte (Themenbereiche Sicherheit und Probleme der kommerziellen Raumfahrt und medizinische Versorgung von Menschen im Weltraum), als auch für meine Unterhaltungen im Ausstellungsbereich, wo ich mich unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern von Arianespace, Isar Aerospace, ZeroG und vielen anderen Agenturen, etablierten Unternehmen und Start-ups austauschte.
Hier einige meiner persönlichen Highlights von Tag zwei:
- die Plenarveranstaltung der Space Generation, die sich aus einem sehr diversen Panel zusammensetzte und über die Nutzung (und den potenziellen Missbrauch) von Künstlicher Intelligenz in der Raumfahrt diskutierte
- ein Vortrag über interoperablen Datenaustausch für suborbitale interkontinentale Reisen per Rakete, basierend auf bereits bestehenden Konzepten für die Flugsicherung
- der Vortrag eines Anwalts zur Frage, wer im Falle von Verletzungen im Weltraum haftpflichtig ist und welche Gesetzeslücken derzeit bestehen – ein immer wichtigeres Thema angesichts der wachsenden Anzahl an Weltraumtouristinnen und -touristen
Dienstag: netzwerken
Da die Entscheidung für einen bestimmten Themenbereich am Dienstagvormittag sehr schwerfiel, beschloss ich, diesen im Ausstellungsbereich zu verbringen und Kontakte zu knüpfen. Dazu gehörten unter anderem Vertreter von Raumfahragenturen, Mitarbeiterinnen der großen, etablierten Auftragnehmer der Branche und Start-up-Enthusiasten. Auch unsere Gesprächsthemen waren sehr breit gefächert, von technischen Fragen über Anwendungen für den Weltraumtourismus bis hin zu den Themen Medien und Öffentlichkeitsarbeit – eine Vielfalt, die die zahllosen Facetten der Branche im Allgemeinen gut widerspiegelte.
Ich hatte auch das Glück, einigen der Vorträge an verschiedenen Ständen beiwohnen zu können; durch puren Zufall beispielsweise auch einem von der Europäischen Weltraumbehörde ESA, in der es um ein für mich sehr spannendes Thema ging: Führen in einer interkulturellen Arbeitsumgebung.
Der Nachmittag wurde mit einer Plenardiskussion zum Thema planetare Verteidigung eröffnet. In dieser ging es unter anderem auch um die DART-Mission der NASA, deren Einschlag in den Asteroidenmond Dimorphos am 26. Oktober, nur wenige Tage nach Kongressende, dessen Umlaufbahn erfolgreich beeinflussen konnte. Nach dieser spannenden Diskussion (zu der unter anderem auch Bill Nye beitrug), entschied ich mich für die Fachvorträge zum Thema medizinische Versorgung unter extremen Bedingungen. Auch hier wurde wieder einmal ein breites Themenspektrum abgedeckt, von Neurologie über halbautomatische Drohnen und Rover für Erste-Hilfe-Anwendungen auf anderen Planeten oder in abgelegenen Regionen bis hin zum Einfluss der Schwerkraft auf die Knochenheilung.
Mittwoch: ein verfrühtes Ende
Leider war der Mittwoch mein letzter Tag auf dem IAC. Der begann jedoch mit einem erfrischend offenen und ehrlichen Frühstücks-Panel, das sich mit dem Thema Scheitern und persönliches Versagen befasste.
Eröffnet wurde der vierte Kongresstag im Anschluss durch einen Plenarvortrag über das James-Webb-Weltraumteleskop: seine Entwicklung und die dafür notwendige internationale Zusammenarbeit, die Wissenschaftsziele und sein fantastisches Potenzial im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.
Im technischen Bereich entschied ich mich am Mittwochvormittag für die Vorträge zum Thema allgemeine Öffentlichkeitsarbeit. Meine persönlichen Highlights in dieser Sitzung waren:
- SelfieSat, ein Satellitenprojekt norwegischer Studentinnen und Studenten, das mehr junge Leute für das Thema Raumfahrt interessieren soll
- ein Vortrag zu der Frage, ob ein besserer Kenntnisstand einer Nation im Bereich Raumfahrt zu einer Desillusionierung bezüglich neuer Leistungen in diesem Sektor führt
- die Vorstellung eines türkischen „Erlebnismuseums“, das einen Schwerpunkt auf das praktische Erleben legt und junge Menschen ansprechen und begeistern soll
Zu guter Letzt blieb noch Zeit für eine Presseveranstaltung des James-Webb-Teams, in der das neueste offizielle Webb-Bild (eine Infrarotaufnahme von Neptun) vorgestellt wurde. Eines der spannendsten Ereignisse des Kongresses und der perfekte Abschluss für mich.
Schweren Herzens machte ich mich nach Ende dieser Veranstaltung auf den Heimweg. Leider verpasste ich deshalb am letzten Kongresstag auch die Vorträge zum Thema mehrsprachiger astronautischer Terminologie, die für mich als Fachübersetzerin für Raumfahrttechnik das perfekte Querschnittsthema dargestellt hätten.
Mein Fazit
Einer der Aspekte, die mir am diesjährigen IAC besonders gut gefielen, war der Schwerpunkt, der auf das Thema Nachhaltigkeit gelegt wurde: Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten eine wiederverwendbare Metallflasche für das Auffüllen an Wasserspendern, um den Verbrauch von Plastikflaschen und Pappbechern zu reduzieren, es gab dieses Jahr zum ersten mal kein gedrucktes Programmheft und alle wurden gebeten, sowohl so viel wie möglich zu recyceln als auch nur Dinge mitzunehmen, die sie voraussichtlich weiter nutzen und nicht sofort wieder wegwerfen würden.
Außerdem freute es mich, wie offen und freundlich und vor allem international die Atmosphäre war, ohne aber dabei ihre Identität und kulturellen Eigenheiten einzubüßen. Eines meiner Lieblingsbeispiele dafür ist der Stand der Schweizer Raumfahrtagentur, auf dessen Außenseite das für Schweizerdeutsch typische “Chuchichäschtli” zu lesen war.
Insgesamt war es eine großartige Erfahrung für mich. Ich führte anregende Unterhaltungen mit verschiedensten Personen und alle waren unglaublich freundlich und sehr begeistert von dem, was sie tun. Ich freue mich schon jetzt auf meinen nächsten IAC, voraussichtlich 2024 in Mailand!
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