Februar 2023

Gendern (Teil 1): Was ist das und weshalb wird darüber gesprochen?

Rainbow text "hello my pronouns are", followed by a gap to be filled in

Was genau ist „Gendern“ eigentlich?

Gendern ist das aktuell wohl am kontroversesten diskutierte Sprachthema im deutschsprachigen Raum – manche nennen es Humbug, andere sind aktiv dagegen, wieder andere sind leidenschaftliche Verfechter des Genderns. Doch worum geht es dabei eigentlich genau?

Kurz zusammengefasst ist Gendern in der Sprache der Versuch, diese bewusst so einzusetzen, dass alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einbezogen werden. Das gilt sowohl für die Schrift- als auch die gesprochene Sprache.

Warum wird das Thema derzeit so heiß diskutiert?

Eigentlich ist Gendern nicht neu – bereits in den 1970er und 80er Jahren gab es Schriften deutscher Linguistinnen, die die deutsche Sprache als „Männersprache“ deklarierten. Mit der zunehmenden Aufmerksamkeit für Themen wie soziales Geschlecht und Geschlechtsidentitäten, beispielsweise durch die offizielle Einführung eines dritten Geschlechts in Deutschland, ist das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Warum beschäftigt sich dieser Blog mit dem Thema Gendern?

Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei um eines der aktuellsten und noch dazu um ein extrem kontrovers diskutiertes Thema. Unter anderem deswegen, weil sehr viele Sprachen – darunter auch das Deutsche – von Natur aus stark gegendert sind. Auf einige der Argumente, die Befürworter und Befürworterinnen, aber auch Gegner und Gegnerinnen vorbringen, möchte ich unten gerne genauer eingehen.

Natürlich ist es wichtig, Menschengruppen nicht automatisch aus den eigenen Texten auszuschließen, doch liegt es letzten Endes an Ihnen zu entscheiden, ob Sie gendern möchten oder nicht. Ich möchte Ihnen hier lediglich einige Argumente vorstellen, die Ihnen bei einer Entscheidung dafür oder dagegen vielleicht behilflich sein können.

Abschließend noch ein kurzer Hinweis: In diesem Blog beschäftigen wir uns hauptsächlich mit der Schrift- und weniger mit der gesprochenen Sprache. Viele der angeführten Argumente treffen jedoch auf Beides zu.

Welche Begriffe aus dem Bereich „Gendern“ gibt es?

Was das „Gendern“ selbst bedeutet, haben wir weiter oben bereits angesprochen. Doch welche weiteren wichtigen Begriffe rund um das Thema sollten Sie kennen? Hier eine kleine Auswahl:

  • Geschlechtergerechtigkeit: Alle Geschlechter bzw. Geschlechtsidentitäten werden als gleichwertig dargestellt.
  • geschlechtersensibel/gendersensibel: Geschlechterrollen werden betont und dabei häufig aktiv hinterfragt. Geschlechtersensible Sprache soll einen Perspektivwechsel, ein Sich-Hineinversetzen in andere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten ermöglichen.
  • geschlechtsneutral: Formulierungen, die keinen Rückschluss auf das Geschlecht bzw. Gender zulassen.
  • Geschlecht, Genus und Gender: Mit „Geschlecht“ wird meist das biologische Geschlecht bezeichnet. „Genus“ steht für das grammatikalische Geschlecht, also Maskulinum, Femininum und Neutrum, die nicht zwingend etwas mit dem biologischen Geschlecht gemein haben. „Gender“ hingegen, das aus dem Englischen kommt, wird für das soziale Geschlecht bzw. die selbst wahrgenommene Geschlechtsidentität genutzt.
  • Generisches Maskulinum/Femininum: Eines dieser beiden grammatikalischen Geschlechter (aus historischen Gründen meist das Maskulinum) wird verwendet, um alle Geschlechtsidentitäten einzubeziehen.

Was spricht für das Gendern?

Es gibt durchaus viele Gründe, die für das Gendern sprechen. Hier ein Auszug aus einer sehr umfangreichen Argumentationsliste, die das Magazin Geo veröffentlichte:

  • Unsere Sprache dient als Spiegel der Realität. Die Hälfte davon ist (biologisch gesehen) weiblich, also sollte das weibliche Geschlecht entsprechend gleichwertig vertreten sein.
  • Gendern macht Frauen in der Sprache sichtbar und gewährt ihnen eine gewisse Repräsentation.
  • Die von uns verwendete Sprache prägt die Realität. So zeigte eine Studie (verfügbar auf Englisch) beispielsweise, dass sich durch Gendern Geschlechtsstereotype reduzieren lassen.
  • Die von uns genutzte Sprache ist historisch gewachsen und geprägt durch die männliche Dominanz in unserer Geschichte. Sie ist keineswegs ein neutrales System.
  • Gendern trägt fluideren Geschlechtsidentitäten Rechnung.
  • Unsere Sprache verändert sich sowieso am laufenden Band, auch wenn wir nicht aktiv eingreifen.
  • Das generische Maskulinum führt durch die in unseren Köpfen entstehenden Bilder dazu, dass Frauen bei der rein männlichen Form immer weniger mitgemeint sind. Es wird also psycholinguistisch automatisch mit Männern verbunden, wie eine Studie zeigte (ebenfalls nur auf Englisch verfügbar).
  • In weiteren Studien wurde gezeigt, dass weibliche Sprachformen mehr Gleichberechtigung und Toleranz fördern können.
  • Das in unserer Sprache verwendete Geschlecht bzw. Genus prägt die kindliche Wahrnehmung von Berufen und beeinflusst sogar das Verhältnis von Männern zu Frauen bei Bewerbungen auf Stellenausschreibungen (beide Studien ebenfalls auf Englisch verfasst).
  • Gendern ist kein Muss. Es kann flexibel dort eingesetzt werden, wo es passt oder angemessen ist.
  • Gendern führt zur Entstehung präziserer Texte.

Was spricht dagegen?

Natürlich gibt es auch zahlreiche Argumente, die gegen das Gendern sprechen. Auch hier bot Geo wieder eine sehr umfangreiche Liste, die ich in Teilen in diesen Blog aufgenommen sowie mit Argumenten aus anderen Quellen kombiniert habe:

  • Sprache hat nur einen beschränkten Einfluss auf die Realität. Sie mag helfen, es sind allein durch sprachliche Mittel aber keine radikalen Veränderungen zu erwarten. Frauen werden zum Beispiel durch Gendern nicht plötzlich gerecht bezahlt oder im Haushalt entlastet.
  • Das Gendern ist unter der allgemeinen Bevölkerung sehr unbeliebt. Fast zwei Drittel der Deutschen lehnen es ab, da sich viele bevormundet fühlen.
  • Durch das Gendern erhält das Thema Geschlechtsidentität unnötige Aufmerksamkeit in Texten. Es macht es schier unmöglich, das Thema Geschlecht bzw. Gender zu ignorieren.
  • Gendern hat mit der Lebens- und Sprachwirklichkeit der meisten Menschen wenig zu tun. Hier stehen andere Themen im Mittelpunkt.
  • Gendern ist Ausdruck einer politischen Agenda.
  • Gendern kann andere „problematische Identitäten“ verschleiern, z. B. bestimmte unterdrückte Ethnien.
  • Gendern passt nicht zu unserer Sprachtradition. Außerdem sind genderneutrale Formulierungen im Deutschen deutlich komplizierter als in anderen Sprachen.
  • Gendern stört unser ästhetisches Sprachempfinden.
  • Es behindert den Lesefluss und das Eintauchen in einen Text. Außerdem verlängert es Texte oft unnötig.
  • Durch das Gendern können andere Probleme im Bereich Barrierefreiheit auftreten: Je nach verwendetem Zeichen machen verschiedene Screenreader unterschiedliche Pausen, die das Verständnis erschweren. Auch Deutschlernenden wird das Sprachverständnis erschwert.
  • Es gibt einen Unterschied zwischen Genus und Geschlecht/Gender (siehe Begriffsklärungen oben). Das grammatikalische Geschlecht hat mit dem biologischen oder sozialen nur bedingt zu tun.
  • Manchmal es nötig, das Geschlecht zu nennen. Dann sollte es auch sichtbar gemacht werden dürfen.

Gendert Cosmic Lingua?

Kurz gefasst verfolgt Cosmic Lingua hier einen sehr pragmatischen Ansatz. Wo angemessen und durchführbar, wird gegendert (dies ist übrigens auch Teil unseres internen Styleguides, den Sie bei Interesse bald hier einsehen können). Uns ist aber auch bewusst, dass es in manchen Situationen schwierig ist oder nicht dem Wunsch unserer Kundinnen und Kunden entspricht. In diesen Fällen wird darauf verzichtet.

Wie lassen sich Texte gut gendern?

Das ist ein sehr umfangreiches Thema, das ich deshalb in einem separaten Beitrag behandeln möchte. Da der Cosmic-Lingua-Blog in zwei Sprachen veröffentlicht wird und beide sehr unterschiedliche Richtlinien für das Gendern haben, beginne ich im März zunächst mit Tipps zum Gendern auf Englisch, gefolgt von Tipps für das Deutsche im April. Leider müssen Sie sich also noch ein wenig gedulden, aber ich freue mich schon, Sie im April hoffentlich wieder begrüßen zu dürfen.

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